Kleines Forschungsprojekt
Nähe, Distanz und Belastung im Hausbesuch – eine qualitative Studie in der Physiotherapie
Ziel des Projekts ist es, zu untersuchen, wie PhysiotherapeutInnen ihre individuelle Kompetenz im professionellen Umgang mit Nähe und Distanz bei Hausbesuchen einschätzen und inwiefern diese Kompetenz mit ihrem subjektiv erlebten Belastungszustand zusammenhängt. Die Ergebnisse sollen ein besseres Verständnis für psychosoziale Belastungsfaktoren in beziehungsintensiven Versorgungssituationen liefern. Dieses Wissen kann dazu beitragen, praktische Empfehlungen für Ausbildung, Supervision und betriebliche Gesundheitsförderung zu entwickeln.
Damit beschäftigt sich dieses Vorhaben mit der zentralen Fragestellung: „Wie wirkt sich die individuelle Kompetenz von PhysiotherapeutInnen im Umgang mit Nähe und Distanz bei Hausbesuchen auf ihren subjektiv empfundenen Belastungszustand aus?“ und die zwei davon abgeleitete Nebenfragen: „Wie erleben PhysiotherapeutInnen die psychosozialen Anforderungen in der Beziehungsgestaltung mit PatientInnen im häuslichen Versorgungssetting, insbesondere im Hinblick auf Nähe, Abgrenzung und persönliche Verbindlichkeit?“ und „Welche individuellen Bewältigungsstrategien und institutionellen Unterstützungsangebote tragen dazu bei, emotionale Belastungen durch enge therapeutische Bindungen im Hausbesuchskontext zu reduzieren?“
© halfpoint – Canva
Teilnehmende Physiotherapeut:innen gesucht!
Sollten Sie als PhysiotherapeutIn im Hausbesuch Interesse an einer Teilnahme an diesem Projekt haben, kontaktieren Sie uns gerne unter forschung@lichterschatten.de. Wir freuen uns auf Ihre Perspektive!
Ablauf der Studie: Wie sieht meine Teilnahme aus?
Wenn Sie an der Studie teilnehmen möchten, findet ein persönliches halbstrukturiertes Interview statt, das etwa 30 bis 45 Minuten dauert. Der genaue Termin wird individuell vereinbart. Das Gespräch kann entweder vor Ort oder per Videokonferenz durchgeführt werden – ganz nach Ihren Möglichkeiten und Präferenzen. Im Interview werden Sie zu Ihrer beruflichen Erfahrung, Ihrem Umgang mit Nähe und Distanz sowie Ihrem subjektiven Belastungserleben im Berufsalltag befragt. Mit Ihrer Zustimmung wird das Gespräch aufgezeichnet, um es im Anschluss verschriftlichen und wissenschaftlich auswerten zu können. Die Auswertung erfolgt auf der Grundlage anonymisierter Transkripte.
Ihre Angaben werden ausschließlich zu wissenschaftlichen Zwecken verwendet, und eine Veröffentlichung erfolgt nur in anonymisierter Form.
Projektinformationen
Förderung: Physio Deutschland Stiftung
LichterSchatten – Therapiezentrum GmbH
Förderungssumme: 5.000 Euro
Geplante Projektlaufzeit: 07/2025 – 12/2025
Details zum Forschungsprojekt
Relevanz des Projektes
Die therapeutische Beziehung ist ein zentraler Wirkfaktor in der Physiotherapie und umfasst weit mehr als technische Fähigkeiten. Empathie, Verbindlichkeit und ein professioneller Umgang mit Nähe und Distanz tragen wesentlich zum Therapieerfolg bei (Resch et al., 2020; Wampold, 2015). Besonders bei Hausbesuchen entsteht durch den Einblick ins private Umfeld und die kontinuierliche Betreuung eine intensive Beziehungsdynamik (Pols, 2012).
Trotz erster Ansätze in der Ausbildung fehlt oft eine vertiefte Auseinandersetzung mit diesen Anforderungen. In der Praxis liegt die Verantwortung meist bei den Arbeitgebern, etwa durch Supervision oder Fortbildungen (Hausinger, 2008). Das starke Pflichtgefühl gegenüber PatientInnen kann dabei zu Präsentismus führen – also dem Arbeiten trotz eigener Erkrankung, ein verbreitetes, aber wenig erforschtes Phänomen in der Physiotherapie.
Hausbesuche ermöglichen eine alltagsnahe Versorgung, fordern aber auch emotional stark: Therapeutinnen erleben sich häufig nicht nur als Behandlerinnen, sondern auch als Bezugspersonen (Nicholls & Gibson, 2010). Diese Nähe kann belasten – vor allem in schwierigen Situationen oder bei Grenzüberschreitungen (Fritz et al., 2015). Gesundheitsberufe zeigen mit durchschnittlich 27,2 Krankheitstagen jährlich eine hohe Belastung, oft bedingt durch psychische Erkrankungen (TK, 2024).
Erste Studien weisen darauf hin, dass ein unsicherer Umgang mit Nähe und Distanz psychisch belastet und den Kohärenzsinn schwächt (Schäberle et al., 2018). Das Forschungsvorhaben untersucht daher, wie die Beziehungsgestaltung das psychische Wohlbefinden von PhysiotherapeutInnen bei Hausbesuchen beeinflusst – mit dem Ziel, Ausbildung, Praxisstandards und Unterstützung gezielt weiterzuentwickeln.
Beitrag zur Versorgungsqualität
Das Projekt ermöglicht eine gezielte Weiterentwicklung der physiotherapeutischen Versorgung bei Hausbesuchen – vor allem im professionellen Umgang mit Nähe und Distanz. Durch passende Fortbildungen können Kompetenzen gestärkt und psychosoziale Belastungen reduziert werden.
Ein verbessertes Belastungsmanagement senkt das Risiko stressbedingter Ausfälle und fördert eine stabile, kontinuierliche Betreuung. So trägt das Projekt zur Gesundheit der TherapeutInnen und zur Qualität der Versorgung bei.
Methodisches Vorgehen
Zur Untersuchung der subjektiven Perspektiven von PhysiotherapeutInnen auf ihre empfundene Verbindlichkeit im Rahmen von Hausbesuchen wird ein qualitatives, exploratives Studiendesign gewählt. Die Datenerhebung erfolgt über halbstrukturierte Einzelinterviews mit offenen Fragen zu Beziehungsgestaltung, Alltagserfahrungen und Belastungssituationen. Der Interviewleitfaden basiert auf dem SPSS-Prinzip (Schmidt, 2022) und orientiert sich an den methodischen Empfehlungen von Helfferich (2009).
Untersucht werden examinierte PhysiotherapeutInnen, die aktuell in der ambulanten Versorgung tätig sind und regelmäßig Hausbesuche durchführen. Ziel ist es, interpersonelle Dynamiken im häuslichen Setting aus berufspraktischer Sicht zu erfassen.
Für die Teilnehmendenauswahl wird ein purposives Sampling angewendet, um verschiedene berufliche Hintergründe, Beschäftigungsformen und Regionen abzudecken (Gläser & Laudel, 2010). Die Rekrutierung erfolgt über Netzwerke, Berufsverbände und Kooperationspraxen sowie ergänzend durch ein Schneeballverfahren. Etwa 20–30 Interviews sind geplant, bis theoretische Sättigung erreicht ist.
Einbezogen werden ausschließlich TherapeutInnen mit aktueller Hausbesuchstätigkeit in Deutschland. Personen ohne aktuelle Tätigkeit oder mit Erfahrungen außerhalb Deutschlands werden ausgeschlossen, um Vergleichbarkeit zu sichern.
Die Interviews werden digital aufgezeichnet und entweder online oder im LichterSchatten – Therapiezentrum durchgeführt. Bei bestehenden persönlichen oder institutionellen Verbindungen übernimmt eine externe, forschungserfahrene Person die Durchführung.
Die Transkription erfolgt mit f4 (Dresing & Pehl, 2018). Die Auswertung basiert auf der qualitativen Inhaltsanalyse nach Gläser & Laudel (2010), ergänzt durch Codierverfahren der Grounded Theory (Przyborski & Wohlrab-Sahr, 2019). Ziel ist eine systematische Beschreibung von Verbindlichkeitsvorstellungen, Belastungsquellen und typischen Mustern im Berufsalltag.
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Projektteam

Wissenschaftlicher Mitarbeiter (Leitung),
Physiotherapeut (u.A. Hausbesuche)
forschung@lichterschatten.de
Mehr über Hlynur
Hlynur ist Leiter des Projektes und der Forschung bei LichterSchatten. Er ist Physiotherapeut (B.Sc. 2017) sowie Gesundheits- und Pflegewissenschaftler (M.Sc. 2020) und verfügt über Erfahrung in der Durchführung qualitativer Forschungsprojekte, insbesondere im Rahmen der transdisziplinären Innovationsvorhaben DigiVid-19 und Dys-Phappgy. In diesen Projekten sammelte er umfassende Kenntnisse in der Planung und Umsetzung qualitativer Interviews und Fokusgruppen sowie in der anschließenden Auswertung und Evaluation der erhobenen Daten. Darüber hinaus verfügt er über mehr als vier Jahre praktische Erfahrung in der Durchführung physiotherapeutischer Hausbesuche.

Geschäftsführerin des LichterSchatten – Therapiezentrum GmbH
forschung@lichterschatten.de
Mehr über Kathi
Katharina Hahn studiert derzeit Gesundheitspsychologie an der FOM-Hochschule und leitet seit 2019 das LichterSchatten – Therapiezentrum (Geschäftsinhaberin). Projektrelevante Kenntnisse hat sie erworben durch die Module Qualitative Methoden & Evaluation sowie Quantitative Methoden & Evaluation.
Projektverlauf
Das Projekt ist geplant von Juli 2025 bis Ende Dezember 2025 und lässt sich in folgende Phasen unterteilen
Phase 1 - Anforderungsanalyse
Geplanter Zeitraum:
Juli – August 2025
Im ersten Arbeitspaket erfolgt eine strukturierte Literaturrecherche zu therapeutischer Verbindlichkeit, Beziehungsgestaltung in Hausbesuchen und psychosozialen Aspekten der ambulanten Versorgung.
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Auf dieser Grundlage wird ein halbstrukturierter Interviewleitfaden entwickelt. Gleichzeitig werden die Voraussetzungen für die Rekrutierung geschaffen: Relevante AkteurInnen (z. B. ambulante physiotherapeutische Praxen, Berufsverbände) werden identifiziert, eine Kontaktliste erstellt sowie Flyer und Informationsblätter vorbereitet.
Phase 2 - Datenerhebung
Geplanter Zeitraum:
September – Oktober 2025
Im zweiten Arbeitspaket beginnt die aktive Rekrutierung der Teilnehmenden über bestehende Netzwerke, Berufsverbände und Praxispartner.
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Zusätzlich wird ein Schneeball-Sampling genutzt, um weitere relevante TherapeutInnen zu erreichen. Die Interviews finden sowohl online als auch vor Ort statt. Sie werden anhand des entwickelten Leitfadens durchgeführt und audioaufgezeichnet.
Phase 3 - Datenauswertung & Dissemination
Geplanter Zeitraum:
November – Dezember 2025
Im dritten Arbeitspaket werden die Interviews transkribiert und mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Gläser & Laudel systematisch ausgewertet.
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Die Kategorisierung erfolgt induktiv auf Basis des erhobenen Materials und wird theoriegeleitet ergänzt. Parallel zur Analyse beginnt die Aufbereitung der Ergebnisse zur Veröffentlichung in geeigneten Fachkontexten, z. B. durch Konferenzbeiträge oder Artikelentwürfe.
Ergebnisse / erhoffter Erkenntnisgewinn
Ziel des Projekts ist es, ein vertieftes Verständnis für die subjektiv erlebte Verbindlichkeit und Beziehungsgestaltung von PhysiotherapeutInnen im Kontext von Hausbesuchen zu gewinnen. Die Analyse individueller Erfahrungswelten soll aufzeigen, welche Herausforderungen im professionellen Umgang mit Nähe und Distanz bestehen und welche Faktoren als besonders belastend empfunden werden.
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Erwartet werden Erkenntnisse darüber,
- wie TherapeutInnen ihre soziale Rolle im häuslichen Setting erleben,
- welche Spannungsfelder zwischen professioneller Abgrenzung und persönlichem Engagement auftreten,
- und welche Ressourcen oder Unterstützungsbedarfe sie zur Bewältigung dieser Anforderungen benennen.
Darauf aufbauend lassen sich Empfehlungen für Aus- und Weiterbildung sowie für praxisnahe Unterstützungsformate (z. B. Supervision, kollegiale Beratung) ableiten. Langfristig soll das Projekt damit einen Beitrag zur Förderung der psychischen Gesundheit von PhysiotherapeutInnen sowie zur Sicherung einer stabilen und qualitativ hochwertigen Versorgung leisten.
Quellenangaben
- Dresing, T. & Pehl, T. (2018). Praxisbuch Interview, Transkription & Analyse: Anleitungen und Regelsysteme für
qualitativ Forschende (8. Auflage). Eigenverlag. - Fritz, J., et al. (2015). Ethik in der ambulanten Versorgung: Herausforderungen bei Hausbesuchen. Zeitschrift für
Ethik und Moralphilosophie, 2(1), 33–44. - Gläser, J. & Laudel, G. (2010). Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse: Lehrbuch. VS Verlag.
- Hausinger, B. (2008). Der Nutzen von Supervision: Verzeichnis von Evaluationen und wissenschaftlichen Arbeiten
(2. Aufl.). In Deutsche Gesellschaft für Supervision e.V. (Hrsg.). kassel university press. https://dnb.
info/1006968954/34 - Helfferich, C. (2009). Die Qualität qualitativer Daten: Manual für die Durchführung qualitativer Interviews (3.,
Aufl.). VS Verlag für Sozialwissenschaften. - Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA). (2024). Studie zeigt dramatische Fachkräftelücke in der
Physiotherapie. Abgerufen am 30. April 2025, von https://www.ifk.de/artikel/studie-zeigtdramatische-
fachkraefteluecke-der-physiotherapi - Nicholls, D. A., & Gibson, B. E. (2010). The body and physiotherapy. Physiotherapy Theory and Practice, 26(8),
497–509. - Pols, J. (2012). Care at a Distance: On the Closeness of Technology. Amsterdam University Press.
- Przyborski, A. & Wohlrab-Sahr, M. (2019). Forschungsdesigns für die qualitative Sozialforschung. In N. Baur & J.
Blasius (Hrsg.), Handbuch Methoden der Empirischen Sozialforschung (2nd ed., S. 105–123). Vieweg. - Resch, K. L., Schöny, W., & Köhle, K. (2020). Die therapeutische Beziehung in der Gesundheitsversorgung.
Springer. - Schäberle, W., Roth, R., Lothaller, H. & Endler, C. (2018). Psychische Belastung, Nähe, Distanz und
Kohärenzgefühl von Physiotherapeuten in der Einzelbehandlung. Physioscience, 14(04), 161–169.
https://doi.org/10.1055/a-0749-0831 - Schmidt, F. (2022). Leitfadeninterviews: Ein Verfahren zur Erhebung subjektiver Sichtweisen. In J. Boelmann
(Hrsg.), Empirische Forschung in der Deutschdidaktik / herausgegeben von Jan M. Boelmann: Band 1.
Empirische Forschung in der Deutschdidaktik: Band 1: Grundlagen (2. unveränderte Auflage, S. 51–65).
Schneider Verlag Hohengehren GmbH. - Techniker Krankenkasse (TK). (2024). Gesundheitsreport 2024: Arbeitsunfähigkeiten. Unter:
https://www.tk.de/resource/blob/2168508/ee48ec9ef5943d2d40dc10a76bedf290/gesundheitsreport
-au-2024-data.pdf, Zugriff: 29.04.2025. - Wampold, B. E. (2015). How important are the common factors in psychotherapy? An update. World Psychiatry,
14(3), 270–277.
Stand der Informationen dieser Seite: Juli 2025